Unsere Interviewreihe wird heute fortgesetzt mit Paul Watzlaw. Paul ist geschäftsführender Gesellschafter von INSTANTSOUP Media, Vater der ersten deutschen Speed-Dating Website Meetya, des Fotoportals Zoonar und Entwickler der Musiksuchtechnologie von Sony-Hifind. Paul hat eine zeigt stets eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem gerade aktuellen Hype, scheut sich aber nicht, anschließend dessen beste Errungenschaften zu adaptieren.
Seine letzte Produktion Meetya finde ich besonderes spannend, da sie maßgeblich Realtime-Elemente verwendet: Meetya lebt vom Live-Erlebnis. Auf der Frontpage läuft in zentimeterhohen Lettern der Countdown zur nächsten Session.
Frage: Speed Dating und INSTANTSOUP (Tütensuppe, wörtlich: Sofortsuppe). Höheres Tempo auf Kosten der Substanz, ist das das Internet von morgen? Das Internet der aufmerksamkeitsgeschädigten Kiddies, die keine E-Mail mehr schreiben können, sondern nur noch simsen?
Paul: Das sind ja gleich mehrere recht provokative Fragen. Zuerst einmal ist es nicht angebracht, von „aufmerksamkeitsgeschädigten Kiddies“ zu sprechen. Ähnliche Vorwürfe musste ich mir früher auch anhören, wenn ich an meinem geliebten C64 Zaxxon oder Wizard of War gespielt habe. Persönlich kann ich dem Schreiben von SMS zwar nicht viel abgewinnen, kenne aber einige Leute über 40, die sich stundenlang mit der Auswahl eines Klingeltons oder mit Simsen beschäftigen können. Das ist also ein generationsübergreifendes Phänomen. Ich glaube auch nicht, dass das Internet heute ein höheres Tempo hat als früher oder es den neuen Applikationen an Substanz mangelt. Plattformen wie facebook, Last.fm und natürlich auch 1000Mikes finde ich wirklich cool. Da steckt deutlich mehr Substanz dahinter als manch eine Internet-Anwendung der späten 90er hatte. Was mich allerdings erstaunt, ist der sorglose Umgang der User mit ihren persönlichen Daten. Das Wort „Privatsphäre“ scheint für viele nicht zu existieren, und manche Plattformen nutzen das auch gnadenlos aus.
Insofern schwimmen wir bei Meetya.com, unserer Online Speed Dating Plattform, ein wenig gegen den aktuellen Trend. Bei uns kann man keine Relationen zu Freunden herstellen, keine Gruppen bilden und persönliche Daten geben wir sowieso nicht raus. Wir konzentrieren uns auf das klassische Speed Dating Konzept, wobei wir einige „Nachteile“ des Real-Life-Modells vermeiden. Beim normalen Speed Dating treffen sich in der Regel zehn Frauen und zehn Männer. Jedes Paar hat dann vielleicht sieben bis zehn Minuten Zeit, sich zu unterhalten. Anschließend wechseln die Gesprächspartner. Zum Schluss der Veranstaltung kreuzt man an, wen man wiedersehen möchte. Sofern beide Seiten Interesse zeigen, gibt der Veranstalter die entsprechenden Kontaktdaten weiter. Ähnlich sieht es bei Meetya aus, nur die Beschränkung auf eine bestimmte Zahl von Teilnehmer fällt weg. Unser System prüft, wer gerade online ist, und vermittelt anhand der Uservorgaben den nächsten Gesprächspartner. Derzeit bieten wir jeden Abend eine einstündige Veranstaltung an. Innerhalb dieser Stunde kann man sich jeweils sieben Minuten mit anderen Teilnehmern unterhalten. Wenn sich beide Seiten anschließend wiedersehen möchten, erlaubt das System eine weitere Kommunikation mit Hilfe von Sitemails oder unlimitierter Chat-Sessions. Die zusätzliche Weitergabe persönlicher Daten wie Telefon oder E-Mail bleibt den Usern überlassen.
Dieses strenge Konzept haben wir im Februar ein wenig mit unserem „Lass dich umgarnen“-Feature aufgeweicht. Wer im Mittelpunkt stehen will oder einfach keine Zeit hat, an den allgemeinen Abendveranstaltungen teilzunehmen, kann in einer Art Kalender einen einstündigen Termin buchen. Während dieser Stunde können sich dann andere Mitglieder gezielt um einen Chat-Termin bei dem Veranstalter bemühen.
INSTANTSOUP will mit minimalen Ressourcen, viel Kreativität und Know How in kurzen zeitlichen Abständen neue Internetapplikationen auf den Markt werfen, und dann sehen, welche sich durchsetzen können. Ist Darwinismus das Prinzip eurer Produktentwicklung?
Paul: Auch wenn es uns den Vorwurf der „Defokussierung“ einbringt, doch genau das ist das Konzept von INSTANTSOUP. Wieso sollten wir uns auch ausschließlich auf eine Sache konzentrieren, wenn wir immer wieder neue Ideen haben und sie auch technisch umsetzen können? Ein Risikokapitalgeber setzt auch nicht nur auf ein Projekt, sondern versucht, seine Investitionen und das Risiko zu streuen. Wir verfügen zwar nicht über unbeschränkte Mittel, können aber zumindest die technische Entwicklung finanzieren. Der Vorteil unserer aktuellen Arbeitsweise sind die kurzen Entscheidungs- und auch Entwicklungszeiten. Wenn wir eine Idee haben, die uns gefällt, fangen wir ganz sicher nicht mit einem Businessplan an. Wir setzen uns einfach hin, machen ein grobes Konzept, und in zwei bis vier Wochen steht die erste Testversion.
Die „probieren“ wir dann an unseren Freunden aus, und wenn die Leute einigermaßen zufrieden sind, erweitern wir die Sache um weitere Funktionen, bereinigen die Bugs und stellen das Zeug ins Netz. Unser eigentliches Problem ist, wieviel Zeit man in die PR und das Markteing der einzelnen Projekte steckt. Natürlich wollen wir, dass alle Sachen erfolgreich sind, doch wenn sich eine Plattform als DIE Anwendung herausstellen sollte, werden wir unsere Engergie verständlicherweise darauf konzentrieren. Wir wollen uns jedenfalls nicht von Anfang an auf eine Plattform festlegen. Dass man auch bei voller „Fokussierung“ auf ein einziges Projekt ebenfalls auf die Nase fallen kann, haben wir schon in der New Economy-Phase erlebt. Wir waren an einem Startup beteiligt, das trotz einer tollen Idee, einem schicken Businessplan, einem stattlichen Investment und einer guten technischen Umsetzung letztendlich nicht gezündet hat. Zugegeben, 1999/2000 war nicht die beste Zeit, um eine neue Sache zu starten, und die Idee war ihrer Zeit ein wenig voraus, doch das Beispiel zeigt, dass die Fokussierung auf eine Anwendung kein Garant für Erfolg ist. Im Umkehrschluss bedeutet der von dir angesprochene Darwninisums nicht, dass wir die Sache nicht ernst nehmen. Wir nehmen sie sogar sehr ernst, sind aber nicht am Boden zerstört, falls ein Projekt nicht den erhofften Erfolg haben sollte.
Seit fast 10 Jahren setzt du Technologien aus dem Bereich der unscharfen Suche für Internet-Anwendungen ein. Ist für dich das "semantische Web", daß manche als Web 3.0 ausrufen, ein alter Hut, oder tatsächlich die Grundlage der nächsten Generation von Web-Anwendungen? Wie wichtig ist diese Technologie für euch?
Paul: Ich würde das „semantische Web“ und „Web 3.0“ nicht unbedingt gleichsetzen. Je nachdem, wen man fragt, bekommt man eine andere Definition, was „Web 3.0“ sein soll. Um ganz ehrlich zu sein, mache ich mir darüber keine Gedanken, vielleicht wird das genauso ein Marketingbegriff wie „Web 2.0“. Die Idee vom „semantischen Web“ finde ich dagegen toll, ich sehe allerdings einige Probleme bei der Umsetzung und damit meine ich nicht die Technik. Ich greife beispielsweise Taxonomien auf, die tatsächlich ein alter Hut sind, aber im Kontext des semantischen Webs gern „aufgewärmt“ werden. Taxonomien sind also in bestimmten Bereichen wie dem Bibliothekswesen sehr lange im Einsatz. Eine globale, allgemeingültige Taxonomie wird man aber nie schaffen. Selbst wenn man mit mehreren Taxonomien in abgegrenzten Bereichen arbeiten sollte, muss man sich dennoch auf gewisse Konventionen einigen. Wer sorgt dafür, dass solche Konvention eingehalten werden, wer sorgt für mögliche Vorgaben und vor allem, wer soll die Daten erfassen? Eine Bibliothek nimmt für den Aufbau einer Taxonomie ganz sicher nicht ihre Mitglieder in Anspruch sondern greift auf Profis mit entsprechendem Fachwissen zurück. Natürlich gibt es auch unter den Usern dort „draußen“ eine Menge Profis, doch User-generated Content funktioniert meiner Meinung nach nur im beschränkten Maße. Im Unterschied zu vielen Ansätzen des semantischen Webs hat sich das Tagging durchgesetzt, weil es so simpel ist und bei genügend vielen Tags bzw. User-Ratings Fehler ausbügeln kann. Nehmen wir als Beispiel lastfm, wenn dort irgendein musikalisch unbedarfter User einen Industrial-Song mit dem Tag „Klassik“ versieht, tut es dem Song und den anderen Nutzern nicht weh. Letztendlich taggen 1000 andere User den Song korrekt mit „industrial“, und das reicht dann für die Empfehlung.
Technisch kann man natürlich einiges vorbereiten und bei Bedarf wieder aus der Schublade rausholen. Als eine der ersten INSTANTSOUP-Maßnahmen haben wir den sogenannten OpenSubject Adjazenz-Server entwickelt. Ich muss zugeben, dass ich nicht der Namensgeber bin und mit dem Begriff „Adjazenz“ zuerst auch nichts anfangen konnte. Bei Wikipedia gibt es simple Erklärung: Adjazenz bezeichnet eine Beziehung zwischen Knoten oder Kanten in einem ungerichteten Graph. Ich kenne zwar weder das Datenmodell noch den Code fremder „Social Network“-Anwendungen, wage aber zu behaupten, dass viele mit einem recht starren Kontakt- oder Freundekozept arbeiten. Beispielsweise hat Facebook erst vor kurzem eine Unterscheidung zwischen Freunden und Bekannten eingeführt. Der Adjazenz-Server arbeitet dagegen generisch, wir können somit alle Arten von Beziehungen modellieren und performant abbilden. Bei Meetya nutzen wir den Server auch, allerdings nur in einem sehr bescheidenen Maße. Wie schon gesagt, Meetya ist keine „Social Network“-Plattform.
Sorry für die provokative Einleitung. Was mir an euren Applikationen wie Zoonar so gut gefällt, sind die durchdachten, nützlichen und originellen Details, dich sich so stark von den lieblosen Produkten der Telco- und Medienkonzerne abheben. Beim Design, ähem, sagen wir mal, investiert ihr eher weniger. Woran arbeitet ihr derzeit?
Paul: Zoonar ist kein Projekt von INSTANTSOUP sondern eine Online-Bildagentur, die wir 2006 als eigenständige GmbH gestartet haben. Anders als die INSTANTSOUP-Projekte richtet sich Zoonar ausschließlich an „gewerbliche“ User, nämlich Bildanbieter und Bildkäufer. Zoonar fungiert dabei als Vermittlungs- bzw. Vertriebsplattform. Wir haben zwar einige Community-Features implementiert, diese stehen aber nicht im Vordergrund. Wichtiger sind bestimmte Funktionen für Fotografen und potentielle Käufer, die andere Bildagenturen nicht anbieten, z.B. die Möglichkeit, Preise für Einzelbilder sowie ganze Bildwarenkörbe verhandeln zu können. In der Hinsicht sind wir wirklich Vorreiter. Ich muss aber zugeben, dass in Zoonar deutlich mehr Entwicklungsaufwand steckt als in den INSTANTSOUP-Projekten.
Was das Design angeht, so hast du – zumindest bei den INSTANTSOUP-Plattformen – recht. Unsere Tauschbörse luckyhans.com hat in der Hinsicht schon einige Kritik einstecken müssen. Aber ist das Design wirklich so wichtig? Schau dir doch Google, eBay oder craigslist an. Offensichtlich hängt der Erfolg nicht immer vom Design ab. Wenn wir uns zwischen ausgefeiltem Design und der Umsetzung einer weiteren Idee entscheiden müssen, wählen wir natürlich die neue Idee. Sofern man keine „Lifestyle“-Site betreibt, kann man am Design auch noch später „schrubben“. Was unsere kommenden Entwicklungen angeht, so wird es demnächst bei Meetya eine wichtige Erweiterung geben.
Ansonsten haben wir schon die Kleinanzeigen-Plattform Mrsale in der Schublade. Dies war eigentlich die erste INSTANTSOUP-Entwicklung, doch dann haben wir uns entschieden, zuerst mit Meetya zu starten. Da der Markt für Kleinanzeigen-Plattformen mit kijiji und Co. schon ziemlich dicht ist, kommt es auf den einen oder anderen Tag Verzögerung nicht mehr an. Tatsächlich arbeiten wir momentan an einer weiteren Anwendung, die aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Ich werde jetzt nicht sagen, worum es sich handelt. Man sollte die Konkurrenz und potentielle Nachahmer nicht allzu früh auf sich aufmerksam machen.
Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg!