Anfang des Monats war ich auf die Radiofachtagung Radio 2020 der Thüringischen Landesmedienanstalt eingeladen, was mich sehr gefreut hat, einerseits, weil es zeigt, dass 1000MIKES auch schon in der klassischen Radiowelt als relevantes Zukunftskonzept wahrgenommen wird, andererseits, weil ich noch nie in Thüringen war, und gerne die Landeshauptstadt Erfurt mit ihrer großen und sehenswerten mittelalterlichen Altstadt erkunden wollte.
Das mittelalterliche Stadtbild gibt auch den perfekten Rahmen ab für eine Medienpolitik-Veranstaltung. Wie fast kein anderes Politikfeld bilden die Rundfunkmedien ein von Privilegien, Pfründen, Monopolen und anderen feudalistisch anmutenden Abhängigkeiten durchsetztes, schwer durchschaubares Geflecht. Ironisch gemeint? Keineswegs. Wer versteht wirklich das System der Privilegienvergabe bei den Sendefrequenzen im terrestrischen Rundfunk, die Pfründen der Gremienmitgliedschaften, die Monopole bei der Vertretung der Urheberrechtsinhaber und der Umverteilung ihrer Einkünfte durch die Verwertungsgesellschaften, die territorialen Besonderheiten der jeweiligen Länder bis hin zum anmaßenden Gebaren der Gebühreneintreiber von der GEZ?
Mehr als 700 Jahre nach dem letzten Erfurter Reichstag versammeln sich im Juni 2009 Radiopolitiker, Radiotheoretiker und Radiomacher zum Dialog "auf Augenhöhe", um über das Radio der Zukunft zu reden. Das Konzept der Tagung stammt von Martin Ritter von der TLM, der wie Stefan Sutor (BLM) und Torsten Giebel von der LM Hamburg-Schleswig Holstein zu den jungen Wilden der Landesmedienanstalten zählt, die mit den krummen Geschäften der alten Garde nichts mehr zu tun haben wollen. Webradios und neue Radioplattformen im Internet will Martin Ritter als "vierte Säule" in das Rundfunksystem neben Öffentlich-rechtlichen, Privaten und der Alibi-Säule der freien Radios und offenen Kanäle einsortieren. Lieber Martin, danke, nein, da passen wir nicht rein!
Ausschnitt der großen Runde: von links nach rechts: Prof. "MP3" Brandenburg, Prof. Kleinsteuber, im Hintergrund TLM-Chef Jochen Fasco, dann ich und Matthias Buß von Radio Lotte
Über die Zukunft wurde dann auch nicht gesprochen, statt dessen viel über die gescheiterte Digitalisierung des terrestrischen Rundfunks, bei der Unsummen von öffentlichen Fördergeldern in den Sand gesetzt wurden. Von mindestens 180 Millionen Euro ist die Rede. (Was wir bei 1000MIKES mit dem Geld machen könnten...) Den Mitschnitt der überraschend anspruchsvollen Diskussion gibt's zum Nachhören hier.
Die Tagung wurde abgeschlossen mit einem Empfang, mit Sekt, Musik und Häppchen, auf dem die Gremienvertreter (die sogenannten "gesellschaftlich relevanten Gruppen") Hof hielten, um die Huldigungen der Radiomacher entgegenzunehmen. Persönlich kennengelernt habe ich dabei den Vertreter der katholischen Kirche, dem ich in Gedanken die französische Revolution an den Hals wünschte.
Am Abend hat mich Thomas Kupfer von Radio Corax, dem freien Radio in Halle mit zu einem Besuch beim Erfurter Radio F.R.E.I. genommen. Thomas, vielen Dank nochmals! Hey, hier wird mit wenig Geld und wenig Unterstützung ein tatsächlich gesellschaftlich relevantes Programm gemacht, unter anderem live mit diesem mobilen Übertragungswagen, in dem sich modernste Radiotechnik gut versteckt:
Der Tag hat mir viel Freude gemacht! Vielen Dank an alle, bis zum nächsten Mal!